Die Geburt des Ibergrennens

Die Heiligenstädter hatten neben all den zahlreichen Aktionen noch ein weiteres As im Ärmel: Sie brüteten die Idee des Bergrennens aus, denn die Rallyegruppe des Clubs nahm im Jahre 1975 erstmals selbst an zwei Bergrennen teil - in Hundeshagen sowie in Wolfsberg im damaligen Bezirk Halle. Deren Begeisterung und die dadurch neu aufflammende Erinnerung an die Rennen der 20er Jahre sorgten für einen wahren Virus. Schon 1972 hatten sich die Sportfreunde Heiner Haase und Manfred Körschner auf das Rallye-Fahren verlegt. Ihr erster Einsatz war bei der 1000-Kilometer-Zwiebelrallye in Weimar. Den absolvierten die beiden auf einem Trabant 601 Kombi. Sie kamen sogar ins Ziel und beschlossen, dass diese Rallye nicht ihre letzte war.

Ein Jahr später war die so genannte Rallyegruppe aus der Taufe gehoben. Sie bestand aus Stephan Gaßmann, Dietrich Sobeck, Raimund Reinhardt, Theofried Dorl, Stefan Haring, Hubert König, Klaus-Dieter Haase, Friedhelm Ferner und Stephan „Bimbo“ Hartung. Sie alle betrieben mit viel Begeisterung den Rallye- und auch den Bergsport. Zuerst im Bezirksmaßstab, später auch bei DDR-Meisterschaften wie beispielsweise der Wartburgrallye, der Pneumant-Rallye in Berlin oder auch der Konsum-Rallye in Gera. Das Ziel hieß „ankommen“. Denn an vordere Plätze konnte erst gar nicht gedacht werden, da die Einsatzwagen Fahrzeuge des täglichen Gebrauchs und nicht zu ersetzen waren.

Doch im Bezirksvergleich mischte man schon vorne mit, egal ob bei den Rallyes oder im Bergsport. Und so geisterten die ersten Überlegungen im Club herum, in Heiligenstadt wieder ein Bergrennen auszurichten. 15 Sportfreunde, unter ihnen der heutige Vorsitzende Friedhelm Ferner, wälzten nächtelang Ideen, wie man solch ein Ereignis auf die Beine stellen könnte. Die Grundlagen waren da: eine kurvige Bergstrecke, eine große Portion Enthusiasmus und eine ganze Menge Heiligenstädter Fahrer, zum Beispiel Dietrich Sobeck, Heiner Haase, Stefan Hartung, Stefan Gaßmann, Stefan Haring und Hubert König aus der Rallye-Gruppe. Wieder waren es Aloys König und Werner Poppe, die auf alte Programmhefte von 1927 gestoßen waren. Sofort standen die beiden Urgesteine des Clubs, nachdem die Bitte um Unterstützung in der Leitung vorgetragen wurde, hinter der Idee. Schnell machten sich die potenziellen Organisatoren rund um Friedhelm Ferner, der den aktiven Rennsport aufgab und sich lieber auf das Organisieren verlegte, mit den rechtlichen Regularien eines Bergrennens vertraut. Die Motorsportclubleitung beantragte beim damaligen Dachverband, dem Allgemeinen Deutschen Motorsportverband (ADMV), die Genehmigung. Als Schirmherr fungierte der Rat des Kreises. Doch musste die Rennleitung für jeden einzelnen Rennfahrer ein Quartier nachweisen.

Die Motorsportfans gingen daraufhin Klinken putzen, zum Beispiel in den umliegenden Jugendherbergen und in den FDGB-Ferienheimen. Auch die Materialbeschaffung erwies sich als äußerst schwierig. Wo heute mehrfach gesicherte Reifenstapel die Rennstrecke begrenzen, standen damals Strohballen. Diese schwatzten die Rennleitungsmitglieder mit viel Überredungskunst und Standvermögen den LPGs ab – mit der Maßgabe, sie anschließend wieder zurückzubringen, damit der Plan stimmt. Die Absperrungen wurden zudem in langer Handarbeit, wie schon beim Motocross aus Treibriemen zusammengebunden. Nicht zuletzt rückten Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) als Streckenposten an. Die Armee stellte auch den Streckenfunk zur Verfügung. Schon 1976 funktionierte die Zeitnahme per Lichtschranke mit elektronischem Zählwerk. Jürgen Huke und Theofried Dorl, zwei enthusiastische Motorsportfans und Mitglieder des Clubs, hatten sie als Eigenbau konzipiert und in nächtelanger Tüftelei zusammengesetzt. Der Radio- und Fernsehtechniker Hans-Joachim Liesenfeld entwickelte sogar das erste schnurlose Mikrofon, mit dem man ohne Schwierigkeiten oder Behinderungen an einen Rennwagen direkt am Start herantreten konnte. Als Verstärker wurden simple Radios eingesetzt. Friedhelm Ferner fungierte 1976 als Rennsekretär, zum Rennleiter wurde Aloys König ernannt, der das Rennwochenende in kariertem Hemd und gleichgemusterter Bommelmütze absolvierte. Der Start war zu jener Zeit am ehemaligen Busbahnhof am Holzweg, Ecke Bäckerei Schneider. Das Zielbanner hing rund vier Kilometer weiter in Richtung Forsthaus, etwa an der Stelle, die auch als das „Schwarze Kreuz“ den Eichsfeldern bekannt ist.

Als das Rennen am 12. und 13. Juni 1976 herannahte, kamen nicht nur Serien- und seriennahe Tourenwagen wie Trabant, Wartburg oder Lada nach Heiligenstadt, sondern auch Rennsportfahrzeuge, deren Besitzer über nationale und sogar internationale Lizenzen verfügten – die Formel „Easter“. Unter anderem waren auch die Rennsportlegenden Helmut Aßmann, Peter Melkus und Helga Heinrich, die „schnellste Frau der DDR“, da. Sie war mehrfache DDR-Meisterin im Motorsport und sattelte zu dieser Zeit von Wartburg auf Rennsportfahrzeuge um, genauer auf einen Malimo Spyder. Sie avancierte zum absoluten Publikumsliebling am Iberg. Ihr Pech: In der letzten Kurve kam sie bei rund 175 Stundenkilometern abseits der Piste im Graben zu stehen. Ihr einziger Kommentar: „Wenn Sie mich bitte noch mal fahren lassen würden?“ Mehr als 14 000 Zuschauer – das „Thüringer Tageblatt“ nannte sogar die Zahl von 15 000 – jubelten den Mopeds, Motorrädern, Wartburgs, Trabants, RS 1000 und den Rennsportfahrzeugen zu. 116 Teilnehmer waren an den Start gegangen. Schon 1976 ließen die Geschwindigkeiten den Atem stocken. Zum Beispiel setzte Rüdiger Köhmstedt aus Eisenach mit seinem Shiguli Formel „Easter“ eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 106 Stundenkilometern auf den Asphalt. Erst im letzten Wertungslauf am zweiten Renntag konnte ihm Klaus Günther aus Erfurt mit einem 107er-Schnitt noch den Sieg am Iberg abjagen. Bei den Serientourenwagen über 1000 ccm holte sich Ulrich Lichtenberg den obersten Podest-Rang, verwies Horst Wachtelborn auf Platz zwei und den Heiligenstädter Hubert König (auf Moskwitsch) auf den dritten Platz. Im Rennen 8 siegte in der Klasse 21 (Serientourenwagen bis 1300 ccm) Dietrich Sobeck vor Heiner Haase, beide Clubfahrer des MC Heiligenstadt. Rang zwei erreichte Klaus-Dieter Haase und Rang drei ging auf das Konto von Stefan Gaßmann. Bei einem Sonderrennen holte sich der Heiligenstädter Stefan Haring Platz eins.

Das erste Ibergrennen in Heiligenstadt wurde ein so großer Erfolg, dass ein Jahr später die zweite Auflage organisiert wurde. Wieder waren am 11. und 12. Juni 1977 etwa 100 Fahrer, darunter die vollzählige Elite aus der gesamten Republik, gekommen. Unter ihnen erneut auch der siebenfache DDR-Meister und Pokalsieger Helmut Aßmann, der am Iberg im Juni 1977 sein 150. Rennen fuhr von denen er 112 für sich entscheiden konnte. Er trat mit seinem selbstentwickelten Aßmann-Trabant an. Bei herrlichstem Sommerwetter waren tausende Zuschauer an die Strecke geströmt. Den Sieg beim II. Ibergrennen sicherte sich Friedel Kramer aus Zwickau mit seinem Rennsportauto der Gruppe B8. Er hatte auch eine neue Bestmarke gesetzt: Er kam auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 118 km/h.

Selbstverständlich gab es auch wieder Heiligenstädter Vertretungen am Start. Dietrich Sobeck und Heiner Haase starteten damals zwar für den MC Leinefelde, gewannen aber in der Klasse 12, Serientourenwagen bis 1000 ccm. Das II. Ibergrennen wurde sogar als Lauf zur DDR-Meisterschaft für Spezialtourenwagen der Klasse A22 (bis 1300 ccm) und in der Rennwagenkategorie B8 Leistungsklasse I gewertet.

Bei den Motorrädern in der Klasse Serientourenräder bis 250 ccm traten die Heiligenstädter Franz-Walter Böhning, Hubert Mase und Jürgen Schrumpf an. Böhning wurde Fünfter, Mase kam auf den achten Rang. Jürgen Schrumpf allerdings, der im ersten Wertungslauf eine respektable Zeit vorlegte, stürzte im zweiten Lauf schwer. Er erlag später im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Dieser tragische Unfall war ein Grund dafür, dass es für’s erste kein weiteres Bergrennen in Heiligenstadt mehr geben sollte. Allerdings, so Friedhelm Ferner, waren auch die Behörden nicht glücklich darüber, dass das Rennen so viele Fahrer und Zuschauer in einen grenznahen Kreis führte, der als katholische Enklave sowieso einen Sonderstatus hatte, von Partei und Regierung unter besonderer Beobachtung stand. Die Armee hätte ein Sonderaufgebot an Soldaten zur Grenzsicherung abkommandieren müssen, kann sich auch Hartmut Lämmerhirt noch gut erinnern. Man erwartete sogar schon bis zu 50 000 Leute in Heiligenstadt, von denen der eine oder andere den Besuch des Motorsportereignisses nur als Vorwand für eine Republikflucht nannte. So nahm man den tragischen Unfall von Jürgen Schrumpf zum Anlass, politisch nicht gewollte Großveranstaltungen zu verhindern.