Die Gründung des MC Heiligenstadt

Es war in den Abendstunden des 28. März 1958, als im Saal des Hotels „Eichsfelder Hof“ in der Heiligenstädter Wilhelmstraße die Sektion Motorrennsport dem ADMV, dem Allgemeinen Deutschen Motorsportverband, beitrat und damit den „Motorsportclub Heiligenstadt im ADMV der DDR“ aus der Taufe hob.

Bis dahin lag eine Menge Arbeit hinter den Sportfreunden. Sie hatten intensiv daran gearbeitet, eine eigene Organisation zu werden, die einerseits dem DTSB angeschlossen ist, andererseits aber zielgerichtet die Interessen eines Motorsportlers vertritt. Ein eigens gebildetes Vorbereitungskomitee stand unter der Leitung von Walter Wiederholdt. Als Gründungsmitglieder an diesem schicksalsträchtigen Abend waren unter anderem Werner Poppe, Aloys König, Hans Althoff als Chef des Kraftverkehrs, Alfred Kintscher, Fred Oesterheld, Friedel Unselt sowie als Motocross-Fahrer die Jugendlichen Dietrich Sobeck und die Brüder Walter und Rigobert Althaus dabei. Der Vorsitz ging – man musste sich den politischen Gepflogenheiten beugen, denn die Nominierung für diesen Posten hatten die Bezirksleitung des ADMV und die SED festgelegt – an Erwin Retzlaff vom Rat des Kreises. Das Amt des Stellvertreters bekam Walter Müller auf Werner Poppes Vorschlag hin, obwohl Poppe ihm noch nie begegnet war. Müller war zwar auch Funktionär des Rates des Kreises, genauer gesagt dessen stellvertretender Vorsitzender, gehörte aber wenigstens der CDU an.

Die Festrede hielt damals der Vorsitzende der ADMV-Bezirksleitung Timsries, der alles, was politisch gesagt werden musste, auch vorbrachte. Als aber Retzlaff in seiner ihm vorgefertigten Rede alle politischen Themen noch einmal langwierig ausführte, verließen einige ältere Sportfreunde demonstrativ den Saal. Doch Retzlaffs Vorsitz dauerte nur einen Tag, denn er ließ sich nach diesem Abend nie wieder blicken.

Daraufhin rückte sofort der heimliche Wunschkandidat der Motorsportler, Walter Müller, nach. Werner Poppe wurde ad hoc der stellvertretende Vorsitzende des Motorsportclubs. Noch bei der Gründungsversammlung trug er den Wunsch vor, da man ja bereits mit K-Wagen Erfahrungen gesammelt habe, in Heiligenstadt ein K-Wagen-Rennen auszurichten. Das wurde aber abgelehnt. Poppe bat, diese Entscheidung noch einmal so lange zu vertagen, bis man sich in Leipzig ein solches Rennen angesehen habe und ihm so eine zweite Chance zu geben. Dem Antrag wurde stattgegeben. Und nach dem Besuch fiel die Entscheidung positiv aus. Vertreten wurde der junge Motorsportclub durch die Fahrer Aloys König, Robert Apel, Egon Müller und Karl Weber. Gerhard Dröder buchte später sogar einen DDR-Meistertitel auf das Konto des Motorsportclubs. Insgesamt sollte der Club im Laufe der kommenden 15 Jahre elf K-Wagen-Rennen ausrichten.

Nach und nach wurden die Motocross-Rennen akribisch ausgebaut. Die fanden aber nicht mehr auf dem Gelände beim Raphaelsheim statt, sondern wurden an die Alte Burg in Richtung Uder verlegt. An vorderster Front standen die eigenen Clubfahrer Walter und Rigobert Althaus sowie Dietrich Sobeck. Die Brüder Althaus hatten zum ersten Mal 1955 ein Motocross-Rennen gesehen, nämlich das in Heiligenstadt. Damals beschlossen sie, dass dies genau das richtige Hobby für sie sei. 1956 gingen beide erstmals selbst an den Start. Walter Althaus war damals gerade einmal 17 Jahre jung, sein Bruder nur zwei Jahre älter. Auch Dietrich Sobeck folgte dem Ruf der Rennstrecke.

Zehn Jahre lang fuhr Walter Althaus aktiv Cross, erst auf einer clubeigenen Jawa. Da aber auch Rigobert und Dietrich Sobeck unbedingt selbst fahren wollten, wurde die Maschine kurzerhand verkauft. Vom Erlös besorgte man drei Motoren und drei Rahmen. Den Rest musste jeder der drei dann selbst anbauen, um am Ende eine Cross-Maschine zu besitzen. Bei Walter wurde es schließlich eine mit stolzen 16 PS ausgerüstete MZ Eigenbau mit 175 ccm Hubraum. Doch Rigobert vertauschte den Platz auf dem Motorrad bald mit dem an der Werkbank und stand seinem Bruder als Mechaniker zur Seite. Zahllose Rennen absolvierten sie bis in die 60er Jahre hinein.

Neben Heiligenstadt waren sie zum Beispiel in Nordhausen, Bad Langensalza, Gräfentonna, Erfurt, Apolda aber auch in Elbingerode/Harz sowie auf westlichen Strecken Stammgäste, so in Eschwege, Heringen an der Werra, Beuern und Rothenburg. Und hier stand man unter massivem Erfolgsdruck. DDR-Sportler mussten, wenn sie im westlichen Ausland antraten, immer die „Größten und Besten“ sein. Sonst wäre es die letzte Fahrt über die Grenze ins „kapitalistische Ausland“ gewesen. Während es in Heringen und Rothenburg mehr um die Geländesportart Trial ging, trug man in Beuern echte Motocross-Rennen aus. Begleitet wurden die Brüder Althaus bei jeder Reise nach „drüben“ von einem Funktionär, der dafür Sorge zu tragen hatte, dass die Gruppe auch wieder vollzählig in die DDR zurückkam. Mehr oder weniger riss man sich sogar darum, die aktiven Sportler in den Westen zu begleiten.

Während dieser Jahre unterhielten die Heiligenstädter eine gute Partnerschaft mit dem Heringer Motorsportclub, die auch noch bis nach den Mauerbau 1961 Bestand hatte. Der MC Heiligenstadt war der erste Club der DDR, der es nach dem 13. August 1961 schaffte, westdeutschen Fahrern eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen und sie damit an den Start zu bekommen.

Die Rennsportler fuhren aber nicht nur ihre halsbrecherischen Runden. Wenn wieder ein Motocross in Heiligenstadt anstand, halfen sie wochenlang mit bei der Vorbereitung. Dazu gehörte zum Beispiel, die Stecke zu präparieren. Das alles in Handarbeit mit Schubkarre und Schaufel, denn einen Bagger hatten die Clubfreunde nicht zur Verfügung. Das Ganze passierte auf 1,8 Kilometern, dem normalen Kurs einer Motocross-Piste. Die Absperrungen wurden ebenso in Handarbeit aus Treibriemen gebunden, denn Flatterbänder gab es noch nicht.

Unterstützt wurden die Mitglieder des MC Heiligenstadt dabei von „Dynamo“, der Polizeisportvereinigung aus Heiligenstadt, die hauptsächlich Geländesport betrieb und mit der man sich zu einer Interessengemeinschaft zusammenschloss. Die Dynamo-Mitglieder halfen sogar noch mit einem Lkw aus, der Schneegatter aus Kalteneber holte, die als weitere Streckenabsperrungen dienten und anschließend wieder zurück gebracht werden mussten. Der Aufbau - für den Streckenaufbau-Leiter Franz Otterpohl die Verantwortung trug - dauerte darum oft mehrere Wochen. Da die Clubmitglieder ja auch in ihre Berufe eingebunden waren, ging das nur über Arbeitseinsätze, die meist bei einem kleinen Lagerfeuer ausklangen.

Etwa 60 Rennfahrer aus der ganzen Republik konnten jeweils zu den einzelnen Rennen an der Alten Burg begrüßt werden. Ausgetragen wurden Wertungsläufe zur Bezirksmeisterschaft in den Klassen bis 125 ccm, 175 ccm, 250 ccm und 350 ccm. Bei einem Rennen traten sogar die Seitenwagen in Heiligenstadt an. Dabei bekam Dietrich Sobeck die seltene Gelegenheit, bei einem westdeutschen Fahrer, dessen Co-Pilot ausgefallen war, als „Schmiermaxe“ mitzufahren, also das Gespann bei halsbrecherischer Geschwindigkeit auszubalancieren. Sobeck fuhr allerdings nur wenige Jahre Motocross. Er verlegte sich bald auf den Leistungsprüfungssport, fuhr dort auch Motorrad. Später trat er in den 70er Jahren beim Ibergrennen auch als Bergrennfahrer auf einem Wartburg an, genau wie Raimund Reinhardt.

Insgesamt acht Motocross-Rennen richteten die Heiligenstädter aus, zu denen sämtliche DDR-Meister, westdeutsche Sportler und auch die Werksfahrer von Simson aus Suhl kamen. Zudem entstanden mit der Clubgründung die beliebten Eichsfeld-Rallyes.

Der Club musste regelmäßig nach Vorschrift seine Arbeitspläne an die ADMV-Bezirksleitung nach Erfurt schicken. Anfang der 60er Jahre fiel die Entscheidung, dass der MC „bereinigt“ werden müsse. Die Außenstellen in Leinefelde, Küllstedt und Geisleden sollten ihre Eignenständigkeit im ADMV anstreben. Als man sich zunächst weigerte, wurden Werner Poppe und Aloys König kurzerhand die Auszeichnung mit der Goldenen Ehrennadel des DTSB (Deutscher Turn- und Sportbund) gestrichen. Als die Clubs schließlich doch mit tatkräftiger Hilfe der Sportfreunde aufgebaut wurden, ging die Ausrichtung der Veteranenrallyes nach Leinefelde (gegründet 1968), die Geisleder (gegründet 1964) bekamen die Abteilung Trial, aus der später das heute international bekannte Motorsportevent „Motocross“ mit der Deutschen Meisterschaft der Seitenwagen wurde. Die Küllstedter (gegründet 1960) mit Dr. Ploner an der Spitze erhielten die Eichsfeldrallye. Die Heiligenstädter fanden sich schließlich pragmatisch mit der Aufteilung des Clubs ab und halfen sogar beim Aufbau der einzelnen Ortsvereine. Werner Poppe setzte sich engagiert in Geisleden ein, nicht nur als Gründungsmitglied, sondern auch als Streckensprecher des Motocross „Am Berge“ bis zur Wende. Für ihn zählt zu den schönsten Erinnerungen, dass er die erste gesamtdeutsche Meisterschaft als Streckensprecher begleitete. Dann trat er zurück, frei nach dem Motto, dass man dann aufhören solle, wenn es am schönsten ist. In Leinefelde kümmerten sich Persönlichkeiten wie Peter Tüffers, Hans und Rainer Orlob sowie Sepp Werner um die Geschicke. Bereits bei der Gründung konnten an der Leine 54 Mitglieder in die Reihen aufgenommen werden. In Küllstedt allerdings schlief die Eichsfeldrallye mit dem Tod von Dr. Ploner ein.

Doch die Heiligenstädter legten sich nicht auf die faule Haut. 1965 wurden sie Bezirkssieger unter allen Clubs im damaligen Bezirk Erfurt, erhielten später in den Jahren 1978 und 1979 zweimal die Medaille „Hervorragender Motorsportclub“. Außerdem arbeiteten die Mitglieder aktiv an Verkehrssicherheitskonferenzen mit. Vom Generalsekretariat bekam man sogar eine Straßenhilfsdienstmaschine zur Verfügung gestellt, die vorrangig durch die Sportfreunde Walter Simon und Paul Teschner gefahren wurde. In den 80er Jahren sollte das gute Stück noch wertvolle Dienste bei der Absicherung der Grasbahnrennen unterm Dün leisten. Als Walter Müller beruflich nach Weimar abberufen wurde, rückte im Jahre 1970 Siegfried Metz als Vorsitzender nach, zwei Jahre später übernahm Helmut Eckardt dieses Amt.

Der Motorsportclub beschränkte seine Aktivitäten in den 60er Jahren nicht nur auf das Motocross, sondern arbeitete emsig in alle Richtungen. Einige Fahrer, besonders die Familie König, nahmen DDR-weit an den Veteranenrallyes teil, unter ihnen Alois König mit seinem 25 PS starken über einen 1500-ccm-Motor verfügenden Adler, Baujahr 1925. Aloys König sicherte sich in der Automobilklasse 1973 den DDR-Vizemeister Titel und trat gemeinsam mit seiner Ehefrau Ina an. Auch Franziska König war erfolgreich. Sie holte zweimal (1971 und 1972) den Titel der DDR-Meisterin nach Heiligenstadt, allerdings auf dem Motorrad. In den beiden Folgejahren wurde sie DDR-Vizemeisterin. Von 1966 bis 1974 existierte im MC sogar eine Frauensportgruppe, die stets zwischen 15 und 20 Damen zählte und aktiv Motorsport betrieb.

Daneben riefen die Heiligenstädter Sportler die Eichsfeld-Veteranenrallye ins Leben, eine Schwester der heute beliebten Fuchsrallye, die 1972 zum ersten Mal die Teams durch den Landstrich führten, alle mit Köpfchen und Geschick den Wanderpokal, den „Fuchs“ zu jagen. Selbst von den Mitgliedern ausgerichtet wurden neben den insgesamt acht Cross- und elf K-Wagen-Rennen auch sieben Leistungsprüfungsfahrten, fünf Skijörings, einige Städteturniere sowie neun Veteranenrallyes, deren erste 1973 stattfand und für die Claus Pahl verantwortlich zeichnete. Hermann Ludolph wurde in dieser Disziplin 1978 sogar Bezirksmeister auf einer 750er BMW, Baujahr 1929. Aber das war immer noch nicht alles.

Ebenfalls Anfang der 70er Jahre wurde von den Motorsportfreunden das berühmte Campingfest unterm Dün aus der Taufe gehoben. Die Wiese dafür stellte Hermann Ludolph sen. zur Verfügung. Auch Moped-Lehrgänge gab es in den Jahren 1973 bis 1974. Weiter nahmen die Geschicklichkeitsturniere großen Raum ein und wurden meist auf dem Jahnturnplatz ausgetragen. Sie stießen jedes Mal auf eine große Resonanz, unzählige Motorräder und Autos standen am Start. Die Turniere wurden in zwei Kategorien gefahren, einmal für die MC-Mitglieder und einmal für die sogenannten Volkssportler.

In diese Zeit fielen auch weitere Kfz-Veteranen-Rallyes, bei denen teilweise bis zu 120 Fahrer aus der ganzen DDR antraten. Das 15-jährige Bestehen des Clubs feierte man mit einer großartigen Festsitzung am Gründungsort, im Saal des Eichsfelder Hofes. Im gleichen Jahr bekam der MC von der Stadt ein geeignetes Objekt in der Dingelstädter Straße 2b zur Verfügung gestellt, um einen ADMV-Stützpunkt einzurichten. Dabei handelte es sich um eine alte Scheune, die der Club auf seine Kosten um- und ausbaute, sie dafür unentgeltlich nutzen konnte. Tatkräftig stürzten sich die Sportfreunde in die Arbeit, griffen zu Hacke, Schaufel und Betonmischer, um das Motorsportzentrum des ADMV aufzubauen. Zwei Jahre dauerte es bis zum Einzug. Der erste Bauabschnitt – Dach und Fassade – war pünktlich zum 25. Jahrestag der DDR 1974 fertig. Ein Jahr später der Rest. Unzählige freiwillige Aufbaustunden leisteten die Clubmitglieder. Es entstanden ein Schulungsraum von etwa 45 Quadratmetern, ein Büro und im Erdgeschoss eine Werkstatt mit Grube. In diesem Zusammenhang wurde der MC mit der Ehrenplakette für hervorragende Leistungen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit ausgezeichnet. Die Würdigung kam vom Ministerium des Inneren aus Berlin.

Gern wurde das Haus auch Verkehrserziehungszentrum genannt, sollte Selbsthilfewerkstatt sein und auch Schulungsort für alle Bereiche der Verkehrserziehung. Er erfreuten sich großer Beliebtheit. Den ADMV-Stützpunkt nutzte sogar die Volkspolizei, um zweimal in der Woche technische Überprüfungen anzubieten. Die Verkehrsteilnehmerschulungen entwickelten sich zu einem festen Bestandteil der Clubaktivitäten. Jeden zweiten Donnerstag im Monat wurde aktuelles Verkehrsrecht diskutiert, die Hauptursachen von Unfällen analysiert oder die Anforderungen der Ersten Hilfe vertieft. Stets waren bei den Schulungen Polizeibeamte dabei. Weiterhin je nach Thema referierten der Staatsanwalt, der Kreisgerichtsdirektor oder Bereitschaftsärzte sowie Versicherungsvertreter. Damit der Spaß auch bewahrt blieb, wurde das Schulungsprogramm durch Verkehrsquizze aufgelockert. Zudem verlieh der Club Ehrenurkunden für jahrelanges unfallfreies Fahren. Als Träger des Hauses fungierte weiterhin die Stadt.